6/24/08

Adorno’s Aesthetic Theory

“Adorno’s Aesthetic Theory is currently the object of considerable interest in this country [USA]. This is a good thing, but puzzling as well. And it is this puzzle that I want to address. The book is more distant from us than might be indicated by the immediate response its new translation has engendered. It, along with Adorno’s philosophy as a whole, involves a way of making distinctions, types of distinctions, and experiences that are inimical to us; in our heart of hearts, down home, they rub us the wrong way. If Adorno’s pronouncements on jazz have notoriously aggravated many, by the power of hearsay alone, without almost anyone having read the relevant essays or wondered what exactly he was criticizing, this is only the barest indication of his capacity to bother us. Of the musical compositions that might spontaneously occur to the inner ear of the overwhelming majority of the American readers of this essay – themselves an educated elite – there might not be a single song that would not have resounded in Adorno’s own ear as 'trash' and so stereotypical in its construction that the puzzle for him would have been how anyone could parse one such tune from another. To our minds, this must represent some special grudge Adorno held against all things popular.

Yet this was not at all the case. For neither did Adorno like Dvorak, Hindemith, Elgar, Debussy, Stravinsky, or Sibelius, among many, many others. And there was much he found wanting in Schoenberg as well. Adorno may have been as dissatisfied with each and every composition – of whatever art form – as anyone has ever been. This dissatisfaction has an implication that is so remote from us that it is hardly to be intuited this side of the Atlantic: For if Adorno was dissatisfied with all existing art, it was because he was intent on finding the one right artwork, the one that would be the artwork. In other words – and this is the thought that more than any other in all of aesthetics has the ability to grasp the mind of our commercial tribe between thumb and forefinger and squeeze – Adorno thought not just that one artwork may be liked better than another but that this one work would be, in itself, better than another. This was not momentary bad manners that slipped into an otherwise distinguished philosophy, any more than St. Augustine absentmindedly lost track of the main point of his theology when he admonishes us that one can love the wrong thing. Adorno’s philosophy conceived as a whole seeks the primacy of the object. His critique of the judgment of taste is inextricable from this central philosophical intention, not as a part that had to conform to an overriding thesis but as the originating impulse of that thesis. His philosophy of the primacy of the object has its source in the experience of one artwork as superior to another. It could not be otherwise. There is no other basis, this side of the moon, on which to understand or sympathize with the intensity of his thought. And without an ear for emphatic music, for music that means to be the music, every line Adorno wrote echoes hollowly convoluted or blindly exaggerated. The philosophy of the primacy of the object itself derives from the audibly urgent primacy of one artwork over another in a mind that is prepared to hear it. [...]”

— Right Listening and a New Type of Human Being. By Robert Hullot-Kentor :: The Cambridge Companion to Adorno

6/22/08

Adorno: Frankfurter Opern- und Konzertkritiken

"Dezember 1925 - Strawinsky-Fest. Zwei Abende versammelte man sich, um zu erfahren, ob die Musik einen neuen Mythos, einen neuen Pergolesi, einen neuen Offenbach oder endlich ihren Picasso gefunden habe; zwei Abende liess man sich fassen von der Hand des arriviertesten Komponiervirtuosen, der heute, um die Stunde des Verfalles reproduktiver Freiheit, deren Spielgewalt an sich riss; zwei Abende wartete man heiter und ohne viel Hoffnung einer Musik, die Existenz bezeugte.

Zwar fehlt es nicht am Lyrischen, und das Entsetzen wohlmeinender Innerlichkeit über die mechanische Klassizität sollte angesichts der Gesänge füglich paralysiert werden vom Entsetzen formvertrauender Gesundheit, die leicht genug Impressionismus hier mit Dekadenz, treu der Gewöhnung, vermengt. Die »Trois Poésies de la lyrique Japonaise« haben die gebrochene Leuchtkraft des reifen Debussy, gesteigert um die gänzliche Lockerheit in der Wahl der Mittel, über die einer verfügt, dem nicht drei Jahrhunderte an Tradition schwer auf der Hand liegen: obwohl doch wieder nur Tradition solche Lockerheit legitimierte. Auch die Einfalten, zu deren Zellen die Lokerheit niedlich sich dissoziiert, meistert Strawinsky durchaus; in den Berceuses du chat, reizender noch in den Pribautki-Liedchen, wird der Geist jener Spielzeugschachtel diskret mit Erdgeruch parfümiert. Den Strawinsky des eigentlichen Aufruhrs, den beinahe bedrohlichen, beinahe wirklichen, sparte man gefällig aus, liess den Soldaten und das Concertino daheim in der Irre und freute sich des sozusagen festen Bodens. Die Noces villageuises, die in den Konzertsaal verlegt wurden, auf dem dröhnenden Unterbau von vier Klavieren und Schlagzeug, erstaunlich mit ihrer eisernen Ökonomie, taten ihre stampfende Wirkung und fungierten programmgemäss mythisch. Auch Pergolesi war nicht weit. Er selbst zunächst im kubistischen Rokoko der Pulcinella-Suite mit ihren melancholischen, kecken und stimmigen Verzeichnungen, den Reifröcken aus Papier und den hohlplastischen Gesichtern der Themen, die von zauberischer Geometrie überlistet wurden. Strawinsky spielte, mit Alma Moodie zusammen, eine Reduktion der Orchestersätze für Geige und Klavier, die für sich genommen der höchst instrumental gehörten Originalsuite nicht gleichwertig ist, aber in der vollkommenen Interpretation jubelnden Beifall gewann. Anders hat es die- ebenfalls konzertmässig aufgeführte - Buffo-Oper »Mavra« mit Pergolesi zu tun. Die Themen sind von Strawinsky, aber die Art weist nach Neapel, parodistisch ohne Glauben ans eigene Sein und, wenn man will, ein Offenbach, der den Operettengehalt seiner selbst wiederum zum epischen Stoff macht, den er auflöst. »Mavra« dürfte »La finta cuoca« heissen, als Seitenstück zur Serva padrona; ein Husar verkleidet sich als Köchin, um zur Geliebten zu gelangen und hat Pech dabei wie Charlie Chaplin. Man ist bei Strawinsky, die Arietten des Intermediums führen ihre tückischen Trompeten mit sich. Gleichwohl langweilte man sich ein wenig und nicht stilgerecht, weder im Sinne der Opera buffa noch dem Chaplins. Es fehlte die Szene.

Bleibt der neue Strawinsky, der ernsthaft auf die musikeigene und ausdruckslose Objektivität der Spielmusik des dix-huitieme sich beruft, mit der er es als Clown seiner Subiektivität vor dem Spiel nur trieb. Es wäre billig, wollte man wegen der Unmöglichkeit, in solcher Objektivität heute zu reden, Strawinskys Versuch umstandslos verwerfen. Jene Unmöglichkeit ist seinem Versuche bereits einkalkuliert, und in Wahrheit redet bloss er und allein. Nicht umfängt ihn die Tektonik der Spielmusik; er hat ihren Umriss in einem Schleiergewebe von hoher Künstlichkeit ornamental nachgebildet und verhüllt seine Stimme damit, zugleich seine Einsamkeit verhüllend. Was er sich vornimmt, gelingt ihm: das Klavierkonzert als Klang und Dynamik, die Klaviersonate als Formkonstruktion, die uraufgeführte Klavierserenade, wohl das stärkste der neuen Stücke, als ganz freies Zeugnis des jüngsten Tones in geformter und trügender Festigkeit, all dies steht sicher im Rahmen der Intention. Frage nur, ob die Intention selbst legitim sei. Man scheut sich, ohne genaue Kenntnis der Werke abschliessend zu urteilen. Soviel aber scheint gewiss: indem Strawinsky verzichtet, unmittelbar sich auszusprechen, ohne dass die Formen, die er setzt, Bestand hätten, betritt er die Sphäre des Kunstgewerbes. Denn die Ironie, der er die Formen unterwirft, geht nicht in ihre materielle Konstitution über. Niche anders manifestiert sie sich als darin, dass die gewählten Formen so schmerzlich verzeichnet, die deutlichen Elemente des Aufbaues so trüb diffundiert wurden.

Die Verzweiflung an den Formen begrenzt sich an der Unterhaltung des Publikums. Diese durchherrscht die Sphäre und mindert, was an material-musikalischen Leistungen glückte, ehe die Musik nur anhebt. Freilich die Wendung zum Kunstgewerbe ist symbolisch genug und keinem geriet sie anmutiger und exakter als Strawinsky. Fast wäre zu glauben, dass um so vollständiger die entschwundenen Gehalte im Negativ der Karikatur gebannt werden, je tiefer er in die odiose Sphäre sich hinabtreiben läht. Eine Instrumentation der bekannten Vier leichten Klavierstücke, Marsch, Valse, Polka, Galopp, hat die Schlagkraft Offenbachs in der Tat und die Verlassenheit des Orgelmanns an der belebtesten Ecke. Die lustige Suite zeigt die Transparenz vollkommenen Scheins - jene Transparenz, die im Medium psychologischer Ausdrucksmusik bei den besten Stellen von Strauss sich findet: Strauss, dessen moderner Nachfolger Strawinsky vielleicht ist. Solche Nachfolge kann geschehen einzig im Vakuum heute; personale Gehalte sind ihr nicht vergönnt, über ihre Echtbürtigkeit entscheidet bloss die Modernität."

Theodor W. Adorno, Band 19: Musikalische Schriften VI, Frankfurter Opern- und Konzertkritiken

Links:
brockendossiers: Adorno, Theodor W.
brockendossiers: Adorno-Bashing
brockendossiers: Jasager der Musik (Stravinsky)
brockendossiers: Polarisierung (Adorno)
time4time: Stravinsky - Masterworks

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